Die fünf Bünde sind die verbreitetsten Typen von Zusammenschlüssen unter Vampiren, sie sind kulturelle, politische, philosophische oder religiöse Strömungen, in die sich die Vielzahlen lokaler Interessengruppen in aller Welt grob einteilen lassen, ähnlich wie das unter Menschen mit Religionen, Staatsformen oder Berufsgruppen möglich ist. Wie der Clan ist der Bund ein Charaktermerkmal, das mit bestimmten Erwartungen und Stereotypen verknüpft ist und daher die Wahrnehmung und das Verhalten der Figur beeinflusst. Beides sind Richtlinien für die Gestaltung des eigenen Spiels und des Spiels mit anderen. Damit spielt der Bund vorrangig auf dem Charakterbogen eine Rolle.

IT relevant sind allein die Kabalen vor Ort. Diese können, müssen jedoch nicht an bestimmten Bünden orientiert sein oder ihre Mitglieder aus diesen rekrutieren. Auch außerhalb der Stadt existieren keine größeren oder gar weltumspannenden Organisationen, die ihren „Ortsgruppen“ Tipps oder Weisung geben könnten, daher spricht und handelt jede Kabale immer nur für sich. Letztlich entwickelt jede Kabale ihre eigenen Traditionen und Gepflogenheiten, so dass Gruppierungen in verschiedenen Domänen – und sogar in derselben Domäne – stark voneinander abweichen können, auch wenn ihre Mitglieder demselben Bund angehören mögen. Viele Anverwandte, die ihre Heimat nie verlassen haben, können mit den Bundbezeichnungen nichts anfangen oder erkennen bestenfalls in der Beschreibung Gemeinsamkeiten mit einer Gruppe, die sie kennen.

Ein Charakter würde IT nicht sagen „Ich bin Mitglied der Carthianischen Bewegung“ oder „Ich gehöre dem Sanktum an“, wenn es eine Gruppe dieses Namens nicht vor Ort gibt. Andere Charaktere könnten mit einer solchen Aussage nichts oder nur bedingt etwas anfangen. Sie würden aber zweifelsfrei einen Vampir erkennen, den derselbe Drang nach freiheitlich sozialistischer Weltordnung antreibt wie sie selbst und in ihm eine Wesensverwandtschaft sehen, ebenso wie vielerorts Juden, Muslime, Christen und andere Religionsgemeinschaften in der Lage sind ihren gemeinsamen Nenner in der Verehrung einer höheren Macht zu erkennen, trotz aller Unterschiede.

Auf dem Charakterbogen gibt der Bund einen Überblick über mögliche Hintergründe, Einstellungen, Feinde und Verbündete, die eine Figur haben kann, sowie über besondere Kräfte, die ihr durch die Zugehörigkeit zur Verfügung stehen, und das unabhängig davon, welcher Kabale sie sich zuordnen. Auch aus diesem Grund stehen die jeweiligen Bundbücher nur denjenigen Spielerinnen und Spielern zur Verfügung, deren SCs dem jeweiligen Bund zugehörig sind.

Wahrt auch außerhalb des Spieles die Geheimnisse des Bundes eurer Charaktere!

In der Spielwelt manifestieren sich die Bünde dadurch, wie ihre Angehörigen sie in der Live-Realität gestalten. Es kann zum Beispiel Kabalen geben, die nur Mitglieder erlauben, die eine bestimmte Kraft besitzen oder einen bestimmten Glauben ausüben und damit Gläubige anderer Bünde – oder sogar desselben – ausschließen. Es kann Charaktere aus verschiedenen Kabalen geben, die gemeinsamen Göttern opfern oder die feststellen, dass ihre Interpretation der Bestie, und was sie für einen Vampir bedeutet, dieselbe ist. Es kann auch Figuren geben, die an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit gelernt haben, was „ihren“ Bund ausmacht, und nun verwirrt unter den ansässigen Kabalen eine Entsprechung – oder ihr eigenes Verständnis – durchzusetzen suchen. Was es, wie überall sonst im Spiel auch, nicht gibt, sind grundsätzliche, überregionale Wahrheiten, wie ein Bund normalerweise ist, schon immer war oder zu sein hat.

Autarke

Kurzüberblick: Außenseiter und Sonderlinge, Individualisten, die sich nicht einer bestimmten geistigen, mystischen oder moralischen Strömung verschreiben können oder wollen.

Besonderheit: Bundlose können ohne weitere Kosten nach entsprechendem Spiel einem Bund ihrer Wahl beitreten.

Typische Konzepte:

  • Exilierter Verbrecher
  • Fähnchen im Wind
  • Einsamer Hofnarr
  • Maskeradebrechender Wilderer
  • Grantiger Einsiedler

Es ist nicht notwendig einen Bund zu wählen. Nicht alle Vampire werden mit einer anschlussfähige Geisteshaltung erschaffen oder haben sich schon für einen entschieden. Wer unentschlossen ist, sich keiner höheren Ordnung verschreiben kann, die Freiheit liebt, oder die Gefahr, oder ein Weltbild hat, das mit keiner der großen Strömungen vereinbar ist, braucht keinen Bund auf dem Charakterbogen und kann sich ohne die Last eines geteilten politischen oder spirituellen Ideals in die Nacht begeben.

Dermaßen ungefestigten Anverwandten kann es schwer fallen eine Kabale zu gewinnen – oder vielleicht wollen sie das auch gar nicht. Solchen nicht einschätzbaren Vampiren wird oft mit großem Misstrauen begegnet seitens derer, die eine Zugehörigkeit haben. Sie gelten als unkontrollierbare Risiken, als potenzielle Gefahr für die Maskerade, ihre Menschlichkeit und die anderer, den Frieden in der Domäne. Sie lassen sich nicht einordnen und stören die herrschende Ordnung. Vampire brauchen Ordnung, um die Herde ruhig zu halten und ihre Bestie kontrollieren zu können.

Sind Autarke oder Bundlose zusätzlich ohne Kabale, so stehen sie allein da und sind sehr leicht angreifbar. Daher neigen Vampire, die einfach mit ihrem Requiem klarkommen und ihre Unabhängigkeit bewahren wollen, dazu, sich zumindest derjenigen Kabale anzuschließen, die am wenigsten von ihren Anhängern zu fordern scheint oder die Anverwandte unterschiedlichster Moralvorstellungen vereinen kann.

Umgekehrt demonstrieren Kabalenlose allerdings auch Stärke und Unabhängigkeit, die anderen großen Respekt einflößen kann. Dies gilt umso mehr für diejenigen, deren Meinungen und Ziele so abseits aller Normen sind, dass sie nicht einmal damit Anschluss finden. Wer sein Requiem gegen alle Widerstände ohne eine Familie, eine Gemeinde oder eine Partei (anscheinend) erfolgreich führen kann, führt anderen möglicherweise ihre eigenen Schwächen und Ängste umso deutlicher vor Augen. Aber wird auch zu jemandem, mit dem man sich nicht ohne Grund anlegen will.

Oder ohne Verstärkung.

Carthianische Bewegung

Kurzüberblick: Politische Idealisten und Weltverbesserer. Vampire, die eine ausgeprägte Meinung dazu haben, was gut und richtig ist, und das in der Welt zu schaffen suchen – koste es, was es wolle.

Besonderheit: Carthianer sind oft der Welt der Menschen stärker als andere Vampire verbunden und ihre Verknüpfungen unter den Sterblichen machen sie zu einflussreichen Akteuren. Es fällt ihnen leichter neue Kontakte zu finden und angeblich stehen ihnen sogar Türen offen, durch die weniger vernetzte Vampiren nicht gehen können.

Typische Konzepte:

  • „Genug Blut für alle“-Sozialist
  • Demokratischer Fürstenmörder (in spe)
  • Ghul-Spartacus
  • Knallharter Kapitalist
  • Antiautoritärer Kommunengründer
  • Emotionsloser Bürokrat

Die Carthianische Bewegung besteht aus Reformern und Revolutionären, Idealisten und Utopisten. Angehörige dieses Bundes agieren in ihren Domänen als eine Kraft des Umsturzes in der von Stillstand bedrohten Gesellschaft der Toten. Sie können mit der überholten Verehrung eingesessener Herrschaft ebenso wenig anfangen wie mit gutgläubigem Gehorsam gegenüber irgendeinem Gott. Die Carthianer setzen sich dafür ein, eine zeitgemäße Gesellschaft der Vampire zu schaffen, und bedienen sich dabei der Modelle und Praktiken sterblicher Parteien, Unternehmen und Philosophen.

Die meisten Anverwandten, die sich diesem Bund zuordnen lassen, sind gut vernetzt und haben ein feines Gespür für Fäden, die im Hintergrund gezogen werden. Viele sind mit der Welt der Sterblichen noch eng verwoben. Es fällt ihnen leichter als anderen Vampiren Einfluss in bestimmten Sphären zu gewinnen und manchmal scheint es, als hätten sie einen tieferen Einblick in die Geschicke ihrer Stadt als andere je erfahren könnten.

Häufig sind es die Neonaten und Kinder, die sich von einem bestehenden System benachteiligt oder unterdrückt fühlen oder die erkennen, dass es dem Wandel der Zeiten nicht gewachsen ist. Doch auch gesellschaftliche Außenseiter oder sogar Angehörige der bestehenden Ordnung können von einer besseren Welt träumen. Wie diese Welt aussieht, ist so unterschiedlich wie die Individuen der Bewegung: eine gerechte Blutverteilungsbürokratie, ein Recht des Stärkeren, eine athenische Demokratie, eine Herrschaft aus Expertengremien, ein harmonisches, offenes Zusammenleben von Menschen und Vampiren.

Der Vision der Carthianer steht in der Regel der Status Quo entgegen, den Angehörige anderer Bünde, außer wenn er sie benachteiligt, nicht im selben Maße hinterfragen. Unter Vampiren erregt das Rütteln an womöglich jahrhundertealten Pfeilern der herrschenden Ordnung zumeist Sorge, Ärger oder Sanktionen. Nicht immer ist es das Ziel oder das gewählte Mittel das bestehende System vollkommen zu zerstören und aus der rauchenden Asche ein neues zu erheben. Oft jedoch ist eine langsame, schrittweise Reformierung hin zum Ideal entweder unmöglich oder derart langfristig, dass es auf dasselbe hinauskommt. Hier kommt es auf das Gewissen der Rebellen an, welche Mittel das Ziel rechtfertigt. Da es dieses Ziel ist, was ihr Requiem antreibt, ist seine Rechtfertigungskraft oft hoch.

Andere Anverwandte betrachten Carthianer manchmal als naive Weltverbesserer, oder schlimmer, gefährliche Störenfriede, deren Gefasel von einer besseren Ordnung nur der Deckmantel ist, um in jugendlichem Leichtsinn an bewährten Traditionen zu rütteln. Wahr ist, dass der Drang zum Ideal oft stürmisch, ja, zerstörerisch sein kann. Doch der Geist der Rebellion steckt nicht im hirnlosen Tatendrang, sondern nährt sich aus jahre- oder jahrzehntelangen Erfahrungen, Studien, Debatten und Beobachtungen in der sterblichen Welt.

Vor allem: Es geht Carthianern nicht darum ziellos Chaos zu sähen oder kaputt zu machen, was sie kaputt macht. Ein solches Handeln ist am ehesten bei Bundlosen zu erwarten. Wenn das Handeln eines Carthianers Zerstörung bringt, so ist es eine notwendige, fruchtbare, ein Schritt auf dem Weg in eine strahlende Zukunft. Auch sind sie keine Fähnchen im Wind, wer sich einmal einem Ideal verschrieben hat, wird dies nicht morgen zugunsten des nächsten links liegen lassen, selbst wenn es sich als weniger ideal herausstellt als gedacht. Die Veränderung, die sie in die Welt tragen können, machen Halt vor ihrem Inneren, das dem Stillstand des Untods genauso unterworfen ist wie das aller anderen Vampire.

Die Bewegung ist einer der diversesten Bünde und Carthianer geraten nicht nur mit der angestaubten Traditionsherrschaft eines Invictus‘ oder den „gottgegebenen“ Regeln eines Sanktums oder Zirkels aneinander, sondern oft genug mit anderen Carthianern, besonders wenn ihre Vorstellungen, wie die Welt sein sollte, sich widersprechen oder eine Seite ihre Version bereits in einer Stadt etablieren konnte. Wenn sich jedoch einige dieser glühenden Idealisten mit demselben Ziel vereinen, können mächtige Bewegungen entstehen, die schließlich auch andere Anverwandte mitreißen und fähig sind eine Domäne völlig zu transformieren.

Zumindest bis die Mängel dieser Transformation erkennbar werden, neue Ideen wachsen, neue Ideale gefunden werden und die nächste Bewegung sich bildet.

Invictus

Kurzüberblick: Machtorientierte, traditionsbewusste Vampire, denen Hierarchie, Gesetz und feste Strukturen wichtig sind, da sie wie sonst niemand verstehen diese zu ihrem Nutzen zu nutzen.

Besonderheit: Wie keine anderen Anverwandten beherrscht der Erste Stand das jahrhundertealte Spiel der Gefallen und Geschäfte. Ihre mit Blut unterzeichneten Verträge sind Stoff der Legenden.

Typische Konzepte:

  • Zukünftiger Fürst anstelle des Fürsten
  • Fürst
  • Knallharter Gangsterboss
  • Mauschelnder Höfling
  • Wohlinformierter Protokollant
  • Aufstrebender Startupgründer
  • Notar rechtswirksamer Blutsverträge

Die Edlen des Ersten Standes sind ein konservativer Bund vampirischer Elitisten, die sich als die Herrscher und Gesetzgeber der Nacht betrachten. Sie sind der Inbegriff des aristokratischen, zivilisierten, aus den Schatten agierenden Vampirs, hinter dessen beinahe verstaubt wirkender Fassade ein kaltes, blutdurstiges Raubtier lauert.

Sie mögen ihre Stereotypen in der verstockten Welt europäischer Adelshöfe oder römischer Legionärshierarchien finden, aber Macht, wie man sie gewinnt, erhält und führt, ist ein zeitloses Thema. Der invictische Gedanke lebt überall dort, wo es Sieger und Verlierer gibt, wo Rang und Name eine Bedeutung haben, wo Status diktiert, wo man steht, wie man spricht, wer man ist. Ob in denkmalgeschützten Rathäusern, in kalten Sprechzimmern der Aufsichtsräte, in dreckigen Straßenkriegen oder in den Rechenzentren der wissenschaftlichen Elite, Invicti sind diejenigen, die sich entgegen aller Widerstände, aller Rivalität den Platz an der Spitze nehmen.

Er ist die in Jahrtausenden perfektionierte Honorierung der vampirischen Bestie und ihres Verlangens nach Unterwerfung aller Gegner und Hindernisse mit der ehernen Tradition der Maskerade und ihren Anforderungen an den Danse Macabre nach Subtilität und dem Ausfechten von Konflikten in zivilisierten Bahnen. Dass dies funktionieren kann, lange, stabil und sicher, beweist der Invictus.

Häufig sind diejenigen, die in einer Domäne oder einer Kabale das Sagen haben, Angehörige des Invictus‘. Ideell sind sie einer unveränderlich festen, hierarchisch nach Macht organisierten Gesellschaft zugetan, auf deren ehernen Pfeilern eine ewige vampirische Kultur wachsen kann. Sie achten und wahren die Traditionen und die örtlichen Sitten, sie diktieren die Regeln, sie sind diejenigen, die die Dinge schon immer so gemacht haben. Invicti verstehen sich als Stabilität stiftenden Faktor in einer chaotischen Welt der Dunkelheit. Alle, die an dieser Ordnung rütteln oder sie auch nur kritisieren stellen den natürlichen Feind des Bundes dar.

In diesem Bund finden sich insbesondere jene wieder, die bereits zu Lebzeiten an hohe Machtpositionen gewöhnt waren, die mit anstatt gegen das System arbeiten können und niemals ihre Chance zum Aufstieg verpassen. Der Wettstreit, in dem sich alle auf dem Weg zur Macht damit befinden, dient den Invicti als ewiger Antrieb. Als Produkt und Nutznießer dieser Systeme liegt ihnen am meisten daran sie zu erhalten und zu festigen, für immer.

Selbst wenn sie in einer Domäne nicht die dominante Fraktion sein sollten, gliedern sie sich in die bestehenden Systeme ein und verraten, wenn nötig, auch ihre eigenen Ideale. Sie brauchen keine Religion und keine Maske hehrer Ziele, die das Streben nach Macht verklären als Mittel zu irgendeinem Zweck. Sie haben erkannt, dass sich alles stets nur um sie dreht, im Leben wie im Tod. Haben sie die Oberhand, tun sie alles, um sie zu behalten. Zu jedem anderen Zeitpunkt spielen sie ein Geduldsspiel und arbeiten auf den Moment hin, in jene Höhen aufzusteigen, für die sie ihrer Meinung nach erschaffen sind: Den Danse Macabre anzuführen und ihm ihren Stempel aufzudrücken.

Ihr eifersüchtig gehütetes Ass im Ärmel, sowohl um erneut an die Macht zu gelangen als auch diese zu behalten, sind Schwüre zwischen den Herrschenden und den Beherrschten. Dabei handelt es sich nicht allein um die üblichen Gefallen unter den Anverwandten, sondern um magisch bindende Schwüre, die schreckliche Auswirkungen haben können, wenn sie gebrochen werden. Sie sind ein elementarer Baustein für den Invictus, um Gesellschaftsstrukturen zu erschaffen, die nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte Bestand haben. Mit ihnen an der Spitze.

Lancea Sancta

Kurzüberblick: Gläubige, die sich einem höheren Auftrag unterwerfen und darin den Sinn ihrer Existenz und einen möglichen Weg zur Erlösung finden.

Besonderheit: Die Angehörigen von Lancea et Sanctum verfügen über das Potenzial Thebanische Mirakel zu wirken, biblische Wunder, deren Macht die gewöhnlicher vampirischer Fähigkeiten in den Schatten stellt.

Typische Konzepte:

  • Religiöser Fanatiker
  • Verständnisvoller Beichtpate
  • Dunkler Verführer
  • Missionarischer Inquisitor
  • Trauriges Monster auf der Suche nach Erlösung
  • Schriftgelehrter Mystiker
  • Unersättlicher Meister der Sünde
  • Priester des Blutes und der rituellen Magie

Die Gläubigen des Sanktums verstehen sich als die moralische Instanz unter den Anverwandten. Sie haben Antworten auf Fragen nach dem Umgang mit der Bestie, nach Erklärungen für ihren mystischen Zustand, vor allem aber nach einem Sinn im Requiem. Oft sind die größten, besten und verschlossensten mystischen Bibliotheken einer Domäne in den Händen der Lancea. Ein Werk spielt dabei eine besondere Rolle, das „Testament des Longinus“.

Longinus, der römische Legionär, der Christus am Kreuz eine Lanze in den Leib stieß, war, nach seinem eigenen Zeugnis, ein Sünder biblischer Größe, dessen zahlreiche Vergehen nur deswegen nicht zu seinem Untergang führten, weil Gott einen eigenen Plan mit ihm hatte: Indem er das göttliche Blut von der Lanze aufnahm, wurde er – ohne einen Erzeuger, allein aus dem Fluche Gottes – zum Vampir. Als wahrhaftig „Verdammter“ wurde ihm seine Bestimmung von einem Engel überbracht und als Dunkler Messias bringt er den Vampiren die Botschaft vom Sinn ihrer Existenz.

Der Umgang mit dieser „Bibel“ der Vampire ist wie unter Sterblichen unterschiedlich. Gemeinsam ist den Gläubigen des Sanktums allerdings, dass sie ihren Daseinszustand als einen gewollten, sinnvollen ansehen. Die Verdammnis auf Erden ist der der Preis des Lebens, das sie geführt haben, doch sie ist auch ein Auftrag, eine göttliche Mission. Anders als Teufel oder Dämonen werden Vampire nicht von der Welt verbannt, sondern bleiben, mit ihrem freien Willen intakt, ein Teil davon, gesegnet mit fantastischen Fähigkeiten, doch auch geschlagen mit einer Angst vor Sonne und Feuer, einem Drang nach Zerstörung und Auflösung und einem nie endenden Durst nach dem Blut der Lebenden. Von diesen Eigenschaften leiten die zum Glauben Gefundenen einen göttlichen Sinn ihres Daseins in der Welt ab: Das Dunkle Werk. Als „Wölfe Gottes“ bewegen sich die Verdammten unter den menschlichen Schafen und erfüllen dort den Willen ihres Schöpfers.

Vampire des Sanktums erkennen ihre Andersartigkeit an, akzeptieren die Bestie als ein Teil ihres Raubtier-Daseins und gehen in ihrer Rolle als Gesandte Gottes auf. Viele verabschieden sich von einer aufwändigen Fassade der Menschlichkeit, des Mitleids und der Zuneigung, zumindest unter ihresgleichen, was oft eine Befreiung bedeutet nach Jahren des Leugnens und Unterdrückens, ein Ankommen an ihrer wahren Bestimmung.

Der ewige Blutdurst lässt sie unter den Menschen wandeln als verborgenes Schreckgespenst. Indem sie unter ihnen jagen und ihren Gelüsten nachgehen (viele Sancti entwickeln ein bestimmtes Beuteschema, etwa Sünder eines gewissen Typs, oder aber auch nur die reinsten Seelen), behält die Menschheit im (Un)Bewusstsein, dass die Welt ein gefährlicher, feindseliger Ort ist. Diese Furcht, das Bedürfnis nach Schutz, Trost, Sinn in alldem ist es, so der Glaube, was die Herde zu ihrem Hirten treibt – womit die Wölfe zu Hütehunden werden.

Die Erschaffung ist für Vampire ein einschneidendes Erlebnis – manche finden darin ihren Glauben, andere verlieren ihn, und wieder andere definieren ihn völlig neu. In Anlehnung an moderne Kirchen und andere meist monotheistische Glaubensgemeinschaften organisieren sich Sancti oft in komplexen Hierarchien von Priestern, Vorstehern, Seelsorgern, Inquisitoren, Schatzmeistern, Schriftgelehrten und zahlreichen anderen Berufungen. Doch auch „Laien“ können eine wichtige Rolle spielen, halten die Angehörigen dieses Bundes doch alle Vampire für von Gott Verdammte, auch diejenigen, die dieses Los für sich (noch) nicht anerkennen wollen.

Erkennen lassen sich diejenigen, die ihre Pflicht und ihr Schicksal voll angenommen haben spätestens an ihrer Fähigkeit die Thebanischen Mirakel zu erlernen und anzuwenden. Diese Kräfte, der Legende nach vom selben Engel an Longinus überliefert, der ihm seine göttliche Bestimmung überbrachte, gehen über die allen Anverwandten zur Verfügung stehenden Gaben vampirischer Disziplinen weit hinaus. Sie erlauben Gerüchten und Mythen zufolge biblische Wunder zu wirken – Wasser zu Blut zu verwandeln, Plagen über seine Gegner kommen zu lassen, gegen übernatürliche Einflüsse zu segnen, ja, die Toten zu erwecken. Natürlich dienen diese Wunder vorrangig dazu das Dunkle Werk unter den Menschen zu tun. Doch sie wirken ebenso mächtig auf andere Anverwandte und machen Sancti damit auch zu mächtigen und unberechenbaren Feinden.

Ordo Dracul

Kurzüberblick: Suchende, Forschende, die die Welt, den Vampirismus und sich selbst restlos verstehen wollen, um darüber hinauszuwachsen und etwas Neues zu erschaffen.

Besonderheit: Angehörige dieses Bundes sind in der Lage einige der Makel, die der vampirische Zustand mit sich bringt, zu überwinden.

Typische Konzepte:

  • Unsterblicher Wissenschaftler
  • Medium zwischen dem Diesseits und Jenseits
  • Guru mit unglaublichen Fähigkeiten
  • Mittelalterlicher Alchemist
  • Universalgenie
  • Schriftgelehrter Mystiker
  • Selbstoptimierender Bodyhacker
  • Psychoanalytischer Mesmerist

Was den Ordo Dracul antreibt, ist die Auflehnung gegen die Schwächen und Grenzen, die mit dem vampirischen Dasein verbunden sind. Ob sie es für gottgegeben halten oder ein Kuriosum der Natur, für Fluch oder Segen, für eine Besonderheit der Seele oder ein mutiertes Virus, die Angehörigen dieses Bundes finden – jeder für sich oder in durch gemeinsames Denken geformten Forschungskreisen – mehr oder weniger plausible Erklärungen für das, was aus ihnen geworden ist, wie es wohl jeder Anverwandte auf die ein oder andere Art tut. Da für den Ordo Dracul vor allem Ergebnisse zählen, messbare, überprüfbare Erfolge, gibt es kein vereinendes Credo oder keine von allen Praktizierenden unterstützte Theorie des Seins, sondern viele individuelle Theorien, Methoden und Glaubenssysteme.

Ihnen allen geht es jedoch in der Essenz darum, zu verändern, was aus ihnen geworden ist, und immer weiter nach dem zu streben, was aus ihnen werden kann. Sie stemmen sich gegen die Stagnation und Permanenz des Untods und verfolgen den Wandel, einen allgemeinen, weltumspannenden, und einen individuellen, sehr persönlichen Wandel, der sich zuvorderst in der Überwindung der Makel ihres Daseins äußert.

In der Sonne gehen, den eigenen Herzschlag spüren, nicht mehr auf Blut angewiesen sein – Träume, die womöglich jeden Vampir das ein oder andere Mal heimsuchen. Im Ordo Dracul sind dies mehr als Träume. Es sind reale Ziele, die auf dem Weg der Erkenntnis liegen, ein Weg, der davon angetrieben ist, dass alles möglich ist, mit der nötigen Entschlossenheit und Disziplin. Der Weg selbst mag für einige zu einem obersten, endgültigen Ziel führen (dem perfekten Selbst), doch viel öfter ist er bloß das: Ein Weg mit Teilzielen, hinter denen sich stets neue, größere Errungenschaften auftun, dessen Verlauf und dessen Destination sich winden wie der Schweif eines Drachen und selbst dem ewigen Wandel aller Dinge unterworfen sind.

Hierin berufen sich die Bundmitglieder auf Vlad III. Drăculea, auch Vlad Tepes genannt, der, einem autobiografischen Werk zufolge, der erste Vampir war, der seine Schwächen überwand. Er soll ursprünglich den Ordo Dracul gegründet haben, als dunkles Gegenstück zu jenem sterblichen Drachenorden, dem einst sein Vater angehörte und der zur Verteidigung des Christentums geschaffen wurde.

Sowohl der genannte Text als auch der Orden selbst, seine Ausprägungen, seine bloße Existenz, kursieren unter den meisten Anverwandten jedoch höchstens als Gerücht oder Legende, so sie überhaupt davon gehört haben. Das liegt an einer Gemeinsamkeit der ansonsten so unterschiedlichen Angehörigen dieses Bundes: Egal, ob sie sich auf ein konstituierendes „Textbuch“ stützen, eine tatsächliche Ordensstruktur bilden oder durch Intuition oder schiere Willenskraft in akademischer Isolation zu ihren Ergebnissen kommen, in den allermeisten Fällen vermeiden sie es ihre Forschung mit Außenstehenden zu diskutieren. Viele halten sie sogar gezielt geheim.

Das hat den einfachen Grund, dass ihre Errungenschaften Angst, Neid und Misstrauen im Danse Macabre wecken, ganz zu schweigen davon, dass bestimmte Geisteshaltungen ein Überwinden besagter Schwächen unweigerlich als Affront gegen ihr Weltbild sehen. Wer seinen Zustand als Fluch Gottes begreift, muss das Auflehnen dagegen als Frevel wider den göttlichen Plan sehen. Wer seine Raubtiernatur verehrt und danach strebt die perfekte Bestie zu werden, muss einen Sieg über genau diese Bestie als widernatürlich und abstoßend empfinden. Wenn ein derart verdächtiger Anverwandter dann tatsächlich den Schlaf des Tages überwindet, die Angst vor Feuer besiegt oder den Durst nach Blut zum Schweigen bringt, wird er für andere Vampire zu einer nicht einschätzbaren Bedrohung. Die Antwort darauf ist die Unterdrückung und Vernichtung solcher Bestrebungen, wo immer sie sich zeigen. Suchende, die wahrhaft fündig werden, tun nicht selten gut daran, ihre Errungenschaften auf dem Weg zur Vollkommenheit nur mit Gleichdenkenden zu teilen – oder gar nicht.

Zirkel der Mutter

Kurzüberblick: Spirituelle, mystische Vampire, deren Streben nach Macht sie auf uralte Pfade von Naturwesen, Göttern und Dämonen führt, fernab von allem, was noch einen Anschein von Menschlichkeit erweckt.

Besonderheit: Die Angehörigen des Zirkels verfügen über das Potenzial Rituale des Crúac zu wirken, dunkle Blutmagie, deren Macht die gewöhnlicher vampirischer Fähigkeiten in den Schatten stellt.

Typische Konzepte:

  • Medium zwischen dem Diesseits und Jenseits
  • Naturreligiöser Aussteiger
  • Hellsichtige Blinde
  • Polyamouröser Polytheist
  • Korrumpierte Dämonenbeschwörerin
  • Technoschamane
  • Kräuter- und Bluthexe
  • Priester des Blutes und der rituellen Magie

Die Akolythen des Hexenkreises sind heidnische Vampire, oft ohne ersichtliche Ordnung, die Geister und alte Götter in blutigen Riten um Macht anrufen. Im Gegensatz zu einer Verdammung durch Gott propagieren Angehörige dieses Bundes einen ursprünglicheren Quell des Vampirseins. Für sie sind die Anverwandten ebenso ein Teil dieser Welt wie Menschen, Naturgeister, Regen, Magie oder das, was heute heute heidnische Götter genannt wird. Ihre Schöpfungsgeschichten handeln vom gehörnten Gott Cernunos, den Göttern des Todes und des Abgrundes, von Inanna und Ereshkigal, den blutigeren Inkarnationen der Morrigan und vielen schrecklichen Mythen mehr.

Ein gemeinsamer Nenner ist bei den Angehörigen des Bundes manchmal schwer zu finden, kann der individuelle Glaube doch höchst verschiedene Formen annehmen. Er liegt vielleicht am ehesten in der Anerkennung fremder, okkulter Mächte in der Welt, sei es durch naturreligiöse und -magische Anschauungen, beim Verehren der vampirischen Ahnen oder in der Hinwendung zu einem alten, dunklen Pantheon. Wichtig ist beim Zirkel, dass seine Angehörigen sich diesen Mächten nicht zwingend unterordnen. Tatsächlich ist die eigene Göttlichkeit und das Erringen von Macht, nicht zuletzt in der Form der blutmagischen Rituale des Crúac, häufig ein verbindendes Element.

Eine feste Struktur, Hierarchie oder einen gemeinsamen Gründungsmythos bietet der Bund seinen Mitgliedern im Allgemeinen nicht, ob und in welcher Form sich lokale Kabalen organisieren, liegt also umso mehr in den Händen der Charaktere und deren Spielern. Wo im Sanktum häufig dem Glauben eine feste Ordnung gegeben wird, die nicht zufällig an die Machtstrukturen der historischen Kirchen erinnert, kann der Zirkel sich als Gemeinschaft von „Gleichen“, als hermetischer Orden, als matriarchale Hackordnung oder als etwas völlig Chaotisches manifestieren. Nicht wenige Angehörige dieses Bundes gehen ihren persönlichen Weg letzten Endes allein, auch wenn sie die Gesellschaft ähnlich Denkender in einem unverbindlichen Rahmen schätzen. Individualismus, Selbstbestimmtheit und das Streben nach Macht sind im Zirkel vielleicht noch ausgeprägter als im Ordo Dracul.

Was sich nicht leugnen lässt: Die übernatürlichen Mächte, die durch geheime Bücher, eigene Visionen oder von Generation zu Generation weitergegeben werden, funktionieren. Ausgehend von dem Gedanken, dass der Kosmos von einer Kraft durchströmt wird, die der Natur selbst angehört und auch Tiere, Menschen und Vampire erfasst, ist die Blutmagie des Zirkels eine Möglichkeit, diese Kraft zu durchdringen und sich ihrer zu bedienen. Die von Blut befeuerten Flüche und Zauber sind legendär und, geflüsterten Gerüchten zufolge, mit einem langfristigen Festhalten an der eigenen Menschlichkeit kaum zu vereinbaren. Den Zirkel kümmert das wenig. Götter sind keine Menschen.